Die Heidelberger Thingstätte
Auf den Spuren früherer Studenten folgen wir dem Philosophenweg zur Thingstätte, die alljährlich in der Nacht zum 1. Mai von tausenden Menschen bevölkert wird.
Der Philosophenweg startet etwas unscheinbar und fordert die Wanderer bereits zu Beginn mit einem strammen Anstieg heraus. Doch bereits nach wenigen Minuten überrascht der Wanderweg mit einem ersten Highlight. Die Eichendorff-Anlage bietet einen wunderschönen Blick über Heidelberg und erinnert zugleich an Joseph von Eichendorff, der in Heidelberg studierte und der Stadt am Neckar in romantischen Gedichten huldigte.
Der Philosophenweg führt ab hier als Waldweg weiter und bietet immer wieder eine bezaubernde Aussicht auf die Heidelberger Altstadt und das Heidelberger Schloss. Den Namen verdankt der Philosophenweg übrigens Heidelberger Studierenden, die den Weg schon früh als idealen Ort für romantische Spaziergänge und tiefsinnige Gespräche nutzten. Aufgrund der damals synonymen Verwendung der Begriffe Student und Philosoph etablierte sich rasch der Begriff Philosophenweg unter den Heidelberger Bürgern.
Vorbei an Odenwälder Hütte gelangen wir zum Stephanskloster, dass bereits um das Jahr 1090 von Benediktiner-Mönchen erbaut wurde. Heute finden sich auf der damaligen Klosteranlage lediglich Fundamentreste und der 1885 aus den Resten des Klosters gebaute Heiligenbergturm. Über eine Wendeltreppe gelangen wir auf den knapp 15 Meter hohen Turm, der einen atemberaubenden Blick auf Neckartal und Königsstuhl bietet.
Nur unweit des ehemaligen Klosters liegt die Thingstätte. Zwischen 1934 und 1935 wurde die Freilichtbühne nach dem Vorbild antiker griechischer Theater von Hermann Alker und Heidelberger Studierenden erbaut. Der Name Thingstätte geht auf den germanischen Begriff Thing zurück, der Volks- und Gerichtsversammlungen nach altem germanischen Recht bezeichnet. Im Nationalsozialismus wurden zahlreiche Thingplätze oder Thingstätten errichtet um hier völkische Theaterstücke zu inszenieren. Später wurden die Stätten auch für politische Kundgebungen genutzt. Von den bis zu 400 geplanten Thingstätten wurden zwischen 1930 und 1935 lediglich 60 Thingplätze fertiggestellt. Auch die Thingstätte in Heidelberg erlebte nur eine kurze Blütezeit. Zur Eröffnung der Thingstätte am 22. Juni 1935 von Propagandaminister Joseph Goebbels waren die Plätze vollbesetzt. In den nächsten Jahren konnten die Zuschauer aus den insgesamt 56 Zuschauerreihen zahlreiche Vorstellungen beobachten, doch bereits nach wenigen Jahren ging das Interesse der Nationalsozialisten an den sogenannten Thingspielen zurück.
Nach dem Krieg blieb die Thingstätte zunächst unbenutzt und wurde dem Verfall überlassen. Erst später wurde die gesamte Anlage unter Denkmalschutz gestellt und als Konzertbühne genutzt. Heute pilgern jedes Jahr in der Walpurgisnacht, der Nacht auf den 1. Mai bis zu 20.000 Menschen auf den Heiligenberg. Die Thingstätte wird in der Nacht von Darbietungen vieler Künstler und mehreren großen Feuern, in ein einzigartiges Schauspiel gehüllt. Da weder kommerzielle Verkaufsstände, noch elektrisches Licht vorhanden sind, erleben Besucher hier eine einzigartige Atmosphäre.
Auch ohne das Spektakel am 1. Mai bieten Philosophenweg und Thingstätte eine Zeitreise in die Heidelberger Vergangenheit.